CFP: Transiti - Transit -Transits - Tranzit
Tagung der Internationalen Gesellschaft für historische Alpenforschung
Transiti - Transit - Transits - Tranzit.
Infrastrukturen und Gesellschaft in den Alpen von der Antike bis heute
Bozen - Bolzano, 10.-12. September 2015
In den letzten Jahren ist das Bild der Alpen als in sich gekehrte, von wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Autarkie geprägte historische Realität von den Geschichtswissenschaften radikal zur Disposition gestellt worden. Zahlreiche Studien haben hervorgehoben, dass für viele alpine Gemeinschaften die Interaktion mit anderen ein grundlegendes Element für das eigene Gleichgewicht war, das sich auf unterschiedliche Weise äußerte.
Im wirtschaftlichen Bereich spielten die Exporte von im Territorium produzierten Waren eine wichtige Rolle, die es wenigstens teilweise erlaubten, das chronische Defizit an agrarisch hergestellten Lebensmitteln der alpinen Gesellschaften auszugleichen. Auch die unterschiedlichen Formen der Arbeitsmobilität können aus dieser Perspektive beleuchtet werden, auch wenn gezeigt wurde, dass die spezialisierte gewerbsmäßige Migration und die alpinen Handelsnetze in einigen Fällen eine bewusste Strategie zur Wirtschaftsförderung und der Kapitalanhäufung darstellten und keineswegs nur eine Reaktion auf schwierige Produktionsbedingungen waren.
Derartige Interaktionen hat es auch in umgekehrter Richtung gegeben: Die Alpen waren ihrerseits Ziel von Arbeitsmigrationsströmen, von unternehmerischen Aktivitäten und Auslandskapitalien, die von attraktiven Einsatzmöglichkeiten (im Bergbauwesen, in der Forstwirtschaft, in der Energieproduktion oder im Tourismus) angezogen wurden.
Einige Gebiete wurden grundlegend vom Waren- und Personenaustausch über dem Alpenhauptkamm geprägt. Die Dienstleistungen im Bereich des Warenaustausches, des Transports und der Unterbringung entlang der wichtigsten Transitachsen haben nicht nur bedeutende Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten geschaffen, sondern haben auch grundlegend auf die Organisationsprozesse des Territoriums eingewirkt.
Diese Ströme hatten bedeutsame Auswirkungen auf die sozialen Organisationsformen, auf die politischen und kulturellen Entwicklungen der betroffenen Gebiete. Die Verbreitung von Informationen und Wissen, die Ausformung von spezifischen Kompetenzen, politische Strategien, Ehepraktiken und Familienmodelle, das Konsumverhalten stellen nur einige der zu besprechenden Themenbereiche dar.
Ausgehend von diesem breiten Kontext wird die Tagung versuchen, sich auf die Rolle der Infrastrukturen zu konzentrieren, sprich auf die technischen und organisatorischen Systeme, die auf das Territorium einwirken und die Grundvoraussetzung für die Mobilität der Personen, der Waren und Informationen darstellen. Die Idee ist hier breit gefasst, gemeint sind die Straßen, die Eisenbahn, die schiffbaren Wasserwege, die Seilbahnen, aber auch das Postwesen, die Telegrafie und das Telefon, die Produktionsstätten und Transportwege der elektrischen Energie, die Wildbachverbauung usw. Offen soll auch der analytische Zugang angesichts der unterschiedlichen Dimensionen des Phänomens sein, vom rein technischen Aspekt bis hin zum ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen. Um eine Straße herum, so haben unter anderen Edith Saurer, Giuseppe Sergi und Pierre Toubert aufgezeigt, entwickeln sich langfristige Prozesse, die unterschiedliche soziale Realitäten betreffen und mit der Mobilität interagieren.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht also die Beziehung zwischen Infrastrukturen und sozialen Phänomenen im Alpenraum in einem langen Zeitraum von der Antike bis heute. Die Präsenz wichtiger Transportwege und Handelsflüsse, so unsere Überzeugung, hat die Geschichte der Territorien grundlegend geprägt und unterschiedliche Ausformungen im alpinen Raum erfahren. Die Realisierung neuer Infrastrukturen und die Verschiebung von Transportachsen haben Gewinner und Verlierer innerhalb der sozialen Gruppen und der alpinen Gemeinschaften hervorgebracht.
Verschiedene Themenvorschläge zur Vertiefung:
- Infrastrukturen und Politik: die Realisierung von Infrastrukturen ist ein Prozess, in den die Politik auf grundlegende Weise eingebunden ist. Zu dieser Sektion gehören Themen wie das Verhältnis Kosten-Nutzen in Bezug auf die Staatsfinanzen und die lokalen Gemeinschaften, das Problem der Ausführung in Bezug auf die Konstruktion und die Verwaltung der Infrastrukturen, die Projektierung und die Verwendung derselben für strategische Ziele usw. Die vieldiskutierte, historiographische Kategorie des Paßstaates hängt eng mit der Existenz von Infrastrukturen zusammen;
- Infrastrukturen und Wirtschaft: dabei soll von der Rolle ausgegangen werden, die die Infrastrukturen in der Wirtschaftspolitik einnehmen, um dann überzugehen auf die Finanzierungsformen zu deren Realisierung, bis hin zu den Auswirkungen auf die Aktivitäten des Territoriums und auf die langfristigen Entwicklungsprozesse;
- Infrastrukturen und Institutionen: Die Präsenz von Infrastrukturen hat in den betroffenen Gemeinschaften originäre Organisationsformen hervorgebracht, die das Ziel verfolgten, möglichst Vorteile herauszuholen. Zu diesem Themenbereich gehören die Handelsnetze, aber auch verschiedene Vergemeinschaftungsformen zur Handhabung der Transporte: Rodfuhren, Porti usw.
- Infrastrukturen und sozio-kulturelle Dynamiken: gibt es “Straßengebiete” rund um die Infrastrukturen, beziehungsweise entwickeln sich über einen längeren Zeitraum besondere, von den Infrastrukturen geprägte sozio-kulturelle Prozesse, die ihrerseits auf die Verwendungsweise der Infrastrukturen zurück wirken?
- Infrastrukturen und öffentlicher Diskurs: jede Realisierung von Infrastrukturen schafft Konfliktlagen zwischen verschiedenen Interessenskonstellationen. Eine neue Straße kann alte Wege und alte Organisationsformen ins Abseits drängen, die Eisenbahn hat einen Großteil der Straßenökonomie und des Wassertransportwesens ersetzt usw. Jede neue Entwicklung stellt einen Eingriff im Territorium dar, beeinflusst die Umwelt, und löst Widerstand aus, nicht erst in den vergangenen Jahren (zum Beispiel die verschiedenen Formen von NIMBY – Not In My Back Yard). In diesem Zusammenhang kann es von Interesse sein, zu analysieren, wie diese Konflikte die politische Praxis und den politischen Diskurs beeinflussten, und welche Auswirkungen das hatte.
Organisatorische Aspekte der Tagung
Die Tagung findet an der Freien Universität Bozen / Libera Università di Bolzano vom 10. bis 12. September 2015 statt. Die 20- bis 30-minütigen Referate, circa 20 insgesamt, werden einzelnen thematischen Sektionen zugeordnet, die von einem oder mehreren discussant geleitet werden. Als Tagungssprachen sind die wichtigsten alpinen Sprachen vorgesehen: Deutsch, Italienisch, Französisch.
Wir laden Sie ein, innerhalb 31. Jänner 2015 ein Abstract im Umfang von max. 500 Worten mit einem KurzCV an folgende Adresse zu schicken:
andrea.bonoldi@unitn.it
Vorrang haben die Vorschläge von Junghistorikern und -historikerinnen. Die Spesen für Unterkunft und Verpflegung werden gedeckt. Eine Sektion der Tagung wird in der Zeitschrift "Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen" (vol. 21/2016) veröffentlicht.
Wissenschaftlicher Beirat:
Luca Mocarelli (Università di Milano-Bicocca – IGHA), Luigi Lorenzetti (Università della Svizzera italiana – IGHA), Oswald Überegger (Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte - Freie Universität Bozen / Centro di competenza per la storia regionale – Libera Università di Bolzano), Hannes Obermair (Stadtarchiv Bozen - Geschichte und Region / Storia e regione), Cinzia Lorandini (Università degli studi di Trento), Andrea Leonardi (Università degli studi di Trento), Andrea Bonoldi (Università degli studi di Trento – IGHA).